Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Die Flucht Rückkehr ausgeschlossen!?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Flucht Rückkehr ausgeschlossen!?

Michael Blaschke

ISBN (Buch): 978-3-940627-13-1

Preis: € 14,00 (D); 14,40 (A)

 

 

 

Inhaltsbeschreibung:

Die Flucht Rückkehr ausgeschlossen handelt von einem Oberleutnant der Stasi, der zu Beginn der siebziger Jahre Fahnenflucht begeht und sich in den Westen absetzt.

Er lässt seine Frau und Kinder in der Republik zurück. Im Süden der Bundesrepublik Deutschland versucht er sich ein neues Leben aufzubauen, hat aber nichts außer seinem Abitur. Die Stasi ist außer sich, über den Vaterlandsverrat und setzt alles daran ihn in die Republik zurück zu holen.

 

 

Leseprobe:

Hauptmann Hauser hatte sich einen Kaffee gemacht. Er saß am Schreibtisch seines Arbeitszimmers und blätterte in einer Akte. Sein Tresor war halb geöffnet und ver­schaffte dem Raum eine gewisse Unordnung, die Tre­sortür warf einen langen Schatten in das Halbdunkel der brennenden Schreibtischlampe. Die Fenster zum Innen­hof der Stasizentrale in Ostberlin waren mit dunklen Gardinen verhängt.

Es war schon kurz vor Mitternacht und der große Komplex der Zentrale mit seinen endlo­sen mehrstöckigen Fensterreihen strahlte eine kalte, ab­weisende Ruhe aus. Hauptmann Hauser hatte wohl die Zeit vergessen. Er hatte sich jede Menge Notizen ge­macht, noch einmal die Akte durchgearbeitet, eine zwei­te auf seinen Schreibtisch hinzu gelegt. Plötzlich hielt er inne, lehnte sich zurück, nahm seine dunkle Hornbrille ab und strich mit müder Geste über sein breites Gesicht.

Sein dunkles Haar zeigte erste Grautöne und die letzten achtzehn Dienstjahre hatten ihre Spuren hinter­lassen. Er war in einem Alter, in dem man keine berufli­chen Bocksprünge mehr machen kann. Die Karten wa­ren ausgereizt. Er fragte sich, wie seine Personalakte wohl aussehen mochte. Es war der dienstliche Alltag, der kaum Außergewöhnliches erwarten ließ. Auch ein aufgeblähter Überwachungs- und Spionageverein mit seinen vielfältigen Abteilungen krankte an der gefürch­teten Routine und Schlamperei.

Hauptmann Hauser war natürlich in der Partei, wie alle Offiziere der Firma, und seine politische und gesellschaftliche Mitarbeit gehörte zu seinem Leben und zu seiner Arbeit. Er glaubte an den Arbeiter- und Bau­ernstaat, der ihm für seine Treue auch einige Privilegien garantierte. Er fühlte sich aufgehoben und gut versorgt. Es fiel nicht schwer, das eine oder andere Widersprüch­liche oder gar Hässliche im Alltag der DDR zu überse­hen.

Hauser knöpfte seine Uniformjacke zu, nahm, nachdem er die Akten im Panzerschrank verstaut hatte, Mütze, Mantel und Aktentasche und verließ das Büro. Ein kalter Ostwind trieb ihm die Tränen in die Augen, nur sein aufgeschlagener Mantelkragen verschaffte ihm etwas Schutz. Die breite, gut beleuchtete Straße führte entlang des großen MfS-Gebäudes, vorbei in Richtung Innenstadt. Ostberlin schlief um diese Zeit, nur hin und wieder sah er einige Autos. Hausers Heimweg führte zu einem Neubaukomplex. Er verschwand in einem der Plattenbauten.

Major Siepe hatte in der Kantine eine ruhige Ecke gefunden, um den Nachmittagskaffee zu trinken. Es war still in dem Raum um diese Zeit. Er hing seinen Gedan­ken nach und das hatte außergewöhnliche Gründe. Seine langjährige Dienstzeit bei der Stasi hatte ihn bisher kaum aus der Ruhe bringen können. Die Dinge liefen so, wie sie laufen mussten. Sein ideologischer Unterbau hatte das System im Allgemeinen und die Arbeit des MfS im Besonderen in seiner Entwicklung oft behin­dert, wenn nicht gar geschadet.

Natürlich hatte die Partei ihre Organisationen fest im Griff und die Parteigremien der Stasi sorgten sich um ihre Mitarbeiter. Major Siepe, ein beleibter End­fünfziger mit Putenhals und Halbglatze, hatte Mühe, seine Uniformjacke geschlossen zu halten. Sein glatt rasiertes, feistes Gesicht vermittelte immer den Ein­druck lächelnder Freundlichkeit, nur seine Augen, klein und flink, passten nicht zu seinem Gesicht. Als Sohn kleiner Leute, sein Vater war Vorarbeiter bei Borsig, hatte er seine Laufbahn bei der kasernierten Volkspoli­zei in den Anfängen der DDR begonnen. In den letzten 20 Jahren hatte er es zum Major gebracht. In den An­fangsjahren kam es immer wieder zu Engpässen bei geeignetem Führungspersonal. Man behalf sich mit jungen Leuten ohne Vorbildung. Offizierslaufbahnen konnten mit Sonderlehrgängen ausgeglichen werden. Wichtig waren die Herkunft und die politische Überzeugung. Elitäres Gehabe, wie es bei einigen seiner Kameraden zu finden war, kannte er nicht. Seine Inte­ressen nahmen sich recht bescheiden aus.

Auf dem Flur zu seinem Büro war reges Kommen und Gehen. Uniformierte Männchen und Weibchen mit Akten und Gerätschaften, die geschäftig hinter den Tü­ren verschwanden. Major Siepes Arbeitsbereich bestand aus einem der üblichen, möblierten Büroräume.

Eine Tür führte zu einem kleinen Nebenraum, der mit einer Sitzgruppe sowie Anrichte und Schrank ausgestattet war. Es war so arrangiert, dass man von gewisser Behaglichkeit reden konnte. Die Fensterbank war mit künstlichen Blumen bestückt, die nicht zu den Gardinen passten. Honeckers Konterfei hing etwas verloren an der rot­braun gemusterten Wand. Der Raum war für Besprechungen dienstlicher und privater Art gedacht und dien­te zusätzlich der Entspannung und Ruhe. Major Siepe hatte gerade sein Büro betreten, als das schwarze Tele­fon klingelte. Am anderen Ende meldete sich eine Frauenstimme, die ihm mitteilte, dass sein Vorgesetzter, Oberst Busch, ihn sprechen wolle.

Ein kurzer Blick über den Schreibtisch und Major Siepe ging zu Oberst Busch. Was mochte der Oberst wohl wollen? Die dienstlichen sowie privaten Kontakte in den oberen Etagen waren seltene Auftritte, und selbst parteipolitische, gesellschaftliche Arbeit überließ man gern den untergeordneten Dienststellen. Politmitglieder, ZK-Kader, Minister, Staatssekretäre und all die, die im Glanz personifizierter Größe ihre immer gleiche Huldi­gung an das Volk verteilten, liebten keine unpassenden Bilder. Das galt auf allen Ebenen. Man lebte wie unter einer Glasglocke und beglückwünschte sich gegenseitig für die großen sozialistischen Erfolge.

Die Stasi sorgte für einen reibungslosen Ablauf dieser einzigartigen Erfolgsgeschichte. Man hatte im Laufe von Jahrzehnten Mittel und Wege gefunden, alles Hässliche und Unerwünschte verschwinden zu lassen. Major Siepe wusste, die Diktatur des Proletariats durfte keine Schwächen zeigen. Andererseits hatte er den ideo­logischen Hintergrund seiner täglichen Arbeit nie so ganz verstanden. Bei Licht besehen hatte er keine rechte Vorstellung. Er war ein Kind der DDR, sein Bildungsstand erlaubte keine eigenen Urteile und Schlussfolgerungen.

Oberst Busch als Leiter der Hauptabteilung VIII hatte, das wusste Siepe, oft Schwierigkeiten, seinen La­den koordiniert und übersichtlich zu führen. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von Eheproblemen und Schwierigkeiten mit seinen Kindern, außerdem über Einkäufe über Dritte in Westberlin und Unregelmäßig­keiten, was die Devisenkasse anbelangte. Er wusste aber auch, dass sich die meisten Spitzenfunktionäre mit hochwertigen Geräten aus Westberlin versorgten. Es wurde natürlich in Ost-Mark bezahlt, was die Angele­genheit verbilligte. Konsequenzen hatte Oberst Busch nicht zu befürchten, zumal er Freunde im Politbüro hat­te. Außerdem galt er als altgedienter Genosse aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges. Er hielt sich in sei­ner politischen Argumentation streng an die Parteilinie und er hatte alle Stürme gut überstanden. Sein äußeres Erscheinungsbild passte nicht in das Schema eines älteren kommunistischen Apparatschiks. Groß, schlank, mit einem charmanten Hang zur Selbstdarstel­lung, war er sich seiner Wirkung bewusst. Er trug einen hellgrauen, eleganten Anzug mit passender Krawatte und sein grau meliertes, volles Haar passte in dieses Bild. Sein großes Arbeitszimmer mit massigem Schreib­tisch wurde von einem Tisch mit blau gepolsterten Stüh­len ergänzt. Große Einbauschränke in hellem Holz gaben dem Raum eine freundliche Atmosphäre.

In einem Nebenraum mit Sitzecke und einfachem Militärbett hatten Oberst Busch und Major Siepe Platz genommen. Der Major war etwas verunsichert, denn er hatte einen dekorierten, uniformierten Vorgesetzten erwartet und nicht etwa einen Salonlöwen bei einem sozialistischen Gartenfest. Es war ein seltsames Bild. Ein beleibter Soldat in einer zu eng sitzenden Uniform, der schwitzend, mit feuchten Händen, unkontrolliert in seinem Gesicht herumfummelte und ihm gegenüber eine sympathische Erscheinung, die lässig und ent­spannt ihren Platz gefunden hatte. Man sprach über All­täglichkeiten, um dann zur Sache zu kommen.

Oberst Busch stand auf, ging in sein eigentliches Arbeitszimmer und kam mit einer dünnen Akte zurück. Er blätterte kurz darin und gab sie Major Siepe.

„Genosse Major, wir haben einen delikaten, äu­ßerst vertraulichen operativen Vorgang vom Genossen Minister erhalten.“

Major Siepe schlug die Akte auf und erkannte seinen Vorgänger, der sich vor circa 6 Mona­ten in die BRD abgesetzt hatte. Die Reaktion der Ge­nossen und Vorgesetzten war blinder Aktionismus ge­wesen. Lange Diskussionen über Sicherheit, Untreue, Verrat und menschliches Versagen wurden ideologisch verkleistert. Es war ein abscheuliches Anbiedern und zu Kreuze kriechen. Im MfS lief alles auf Hochtouren. Ganze Abteilungen bekannten sich zu höherer Wach­samkeit als Schild und Schwert der Partei und des Staa­tes. Major Siepe dachte mit Schaudern an diese Zeit. Die Anspannung, in jeder Situation das Richtige zu sa­gen und seine politische und fachliche Kompetenz be­weisen zu müssen. Er sah sie noch vor sich stehen, ihr aufgeblasenes Getue, getreu in sozialistischer Gefolgschaft. Manch einer wird sich gefragt haben, ob er nicht auch im Dunstkreis dieses Verräters gesehen wurde. Ganz so einfach war die Angelegenheit jedoch nicht. Eine Schwarz-Weiß-Behandlung, ideologisch gut ver­packt, konnte den Verrat des Genossen Oberleutnant Keller nicht erklären. Es war und blieb für Major Siepe ein erbärmlicher Verrat, es war aber auch eine mensch­liche Tragödie.

Oberst Busch zündete sich eine Zigaret­te an und musterte sein Gegenüber mit kritischem Blick. „Genosse Major“, hob er an, „Sie haben eine Auf­gabe bekommen, die Ihnen einiges abverlangen wird. Der Genosse Minister hat mich beauftragt den Verräter Keller in die Deutsche Demokratische Republik zurückzuholen. Ich habe Sie für diese Aufgabe vorgeschlagen. Die Aktion unterliegt strengster Geheimhaltung und der Minister behält sich das Recht vor, von Fall zu Fall selbst Entscheidungen zu treffen. Wie gefällt Ihnen das?“

Für Major Siepe war das glatter Menschenraub und er war alles andere als begeistert. Käme es zu Schwierig­keiten, würde man sich ein Bauernopfer suchen und fin­den. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mensch in dieser Republik für immer verschwindet, aber das konn­te er diesem Mann nicht sagen. So beschränkte er sich auf einige Fragen, die mit der Angelegenheit im Einzel­nen zu tun hatten.

„Sie haben natürlich meine volle Un­terstützung“, meinte der Oberst. „Ferner bleibt es Ihnen überlassen, entsprechendes Personal zu rekrutieren.“

Hinter dieser Edelerscheinung verbarg sich ein knochenharter, skrupelloser Stasi-Offizier, und seine elegante Erscheinung war letztlich gelungene Tar­nung. Es war klar: Je weniger Mitwisser, umso besser konnte die Sache ablaufen. Keine schriftlichen Aufzeichnungen und Vermerke, keine Spuren, die nicht mehr zu beseitigen wären. Die DDR war auf dem Weg zur völkerrechtlichen Anerkennung, sie war jedenfalls dieser Meinung. Diese Geschichte in den westlichen Medien wiederzufinden konnte nicht im Interesse die­ses Staates liegen.

„Ich werde mein Bestes geben und das Problem in Ihrem Sinne lösen“, sagte Major Siepe. Die Hintergrün­de von Kellers Flucht waren ihm in Einzelheiten nicht bekannt. Er überlegte, wie er Details bekommen und was er davon verwerten konnte. Oberst Busch hatte Kaffee kommen lassen. Er ging in sein Büro und kam mit Cognac und zwei Gläsern wieder.

„Ich weiß, Genosse Major, dieser operative Vor­gang wird schwer.“ Er beugte sich über das Tischchen, um beide Cognacgläser zu füllen und Major Siepe zuzu­prosten.

Sein Ruheraum füllte sich allmählich mit dem Dunst von Kaffee, Cognac und Zigarettenqualm. Ein derartiges Hofieren eines Untergebenen war selbst für das MfS etwas ungewöhnlich. Es zeigte das Bedürfnis des Staates, seine Gegner zu vernichten. Verräter in den eigenen Reihen hatten keine Gnade zu erwarten. Die Organisation war erbarmungslos und es verwunderte nicht, dass hohe Funktionäre dem stalinistischen Prinzip anhingen.

Inzwischen war es Spätnachmittag geworden und der eigentliche Dienstbetrieb war zu Ende. Oberst Busch gab sich aufgeräumt und in guter Stimmung wur­de Major Siepe entlassen. Die wichtigsten Dinge waren besprochen und der Major ging nach Hause.